WIE DER GEBRAUCH DEINER HÄNDE DEIN GEHIRN FORMT UND SEINE EXEKUTIVEN FUNKTIONEN STÄRKT
- christiansidler

- 21. Juli
- 5 Min. Lesezeit
inkl. Übungsvideo
Das Zusammenspiel zwischen dem Gebrauch unserer Hände und der Aktivität in verschiedensten Hirnregionen ist faszinierend. Besonders spannend: das Kleinhirn – klein, unterschätzt und ein echtes Multitalent. In diesem Beitrag werfen wir einen genaueren Blick darauf. Du wirst sehen: Unsere Hände sind weit mehr als Werkzeuge – sie sind Schlüssel zu besserem Denken, Planen und Handeln.
Das Kleinhirn – kompakt, komplex und voller Power
Lange galt das Kleinhirn (Cerebellum) als reine Koordinationszentrale für Bewegung. Doch aktuelle Forschung zeigt:Es ist ein hochvernetztes Integrationszentrum, welches nicht nur Haltung und Motorik, sondern auch exekutive Funktionen wie Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Arbeitsgedächtnis beeinflusst. Und obwohl es nur rund 10 % des Hirnvolumens ausmacht, enthält es über 50 % aller Neuronen unseres Gehirns (Schmahmann, 2019) – eine unglaubliche Dichte an Verarbeitungsleistung.
Die drei Hauptbereiche des Kleinhirns – und was sie leisten
Vestibulocerebellum – dein inneres Gleichgewichtssystem Dieser Teil hilft uns dabei, die Balance zu halten und unsere Augen bei Bewegung zu stabilisieren.
Drei zentrale Funktionen:
Verarbeitung von Gleichgewichtssignalen aus dem Innenohr – z. B. beim Stehen, Gehen oder Radfahren
Koordination der Augenbewegungen bei Kopfbewegungen (vestibulo-okulärer Reflex) – damit wir trotz Bewegung klar sehen
Haltungsstabilisierung bei schnellen Lageveränderungen – also wenn der Körper ständig neu ausbalanciert werden muss
Beispiel im Alltag: Beim Radfahren sorgt das Vestibulocerebellum dafür, dass wir sicher balancieren und gleichzeitig die Straße, Autos und Hindernisse visuell wahrnehmen können – alles gleichzeitig.
Spinocerebellum – der Rhythmusmanager für Bewegungen Das Spinocerebellum ist zuständig für automatisierte und rhythmische Bewegungen. Es sorgt dafür, dass Bewegungsabläufe flüssig, koordiniert und gut getimt ablaufen – oft ohne bewusstes Nachdenken
Drei zentrale Funktionen:
Kontrolle des Muskeltonus für stabile Grundspannung – z. B. beim Stehen oder Tragen eines Rucksacks
Koordination von Rumpf- und Gliedmaßenbewegungen für präzise, zielgerichtete Aktionen
Feinabstimmung laufender Bewegungen durch ständiges Feedback – wie beim Greifen nach einem Ball oder beim Treppensteigen
Beispiel im Alltag: Wenn Kinder beim Musikunterricht tanzen oder im Pausenhof im Takt klatschen, arbeitet das Spinocerebellum auf Hochtouren und unterstützt die fließende, rhythmische Koordination ihrer Bewegungen.
Cerebrocerebellum – der vernetzte Planer mit Denkpower
Dieser Teil ist direkt mit der Großhirnrinde verbunden – besonders mit dem präfrontalen Kortex, also unserer „Zentrale für exekutive Funktionen“.
Drei zentrale Funktionen:
Planung und Steuerung feinmotorischer Bewegungen (z. B. Schreiben, Basteln, Tippen)
Unterstützung kognitiver Prozesse wie Sprache, Problemlösung und Organisation
Beteiligung an exekutiven Funktionen wie Arbeitsgedächtnis und Zielverfolgung
Beispiel im Alltag: Beim sorgfältigen Ausschneiden einer Vorlage oder beim sauberen Schreiben eines Textes ist das Cerebrocerebellum voll aktiv und arbeitet eng mit dem präfrontalen Kortex zusammen, um Planung und Ausführung zu synchronisieren.

Wow – unsere Hände und das Kleinhirn haben also Einfluss auf unsere exekutiven Funktionen? Wie bitte?
Die stille Verbindung: Kleinhirn & präfrontaler Kortex – ein unterschätztes Dream-Team
Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass das Kleinhirn tief in Prozesse eingebunden ist, die wir bisher nur dem Großhirn – und vor allem dem präfrontalen Kortex (PFC) – zugeschrieben haben: Planung, Selbstkontrolle, Arbeitsgedächtnis und Zielverfolgung.
📚 In einer Meta-Analyse von Stoodley et al. (2012) wurde nachgewiesen, dass das Kleinhirn konsequent bei kognitiven Aufgaben mitaktiviert wird – nicht nur bei Bewegungssteuerung.Besonders das sogenannte Cerebrocerebellum, das eng mit dem PFC verschaltet ist, leuchtet auf, wenn Menschen Denkaufgaben lösen oder Entscheidungen treffen.
Noch spannender wird es, wenn man sich die „Verbindungsstraßen“ im Gehirn anschaut:🔬 Krienen & Buckner (2009) konnten zeigen, dass das Kleinhirn über spezialisierte Schleifen direkt mit dem präfrontalen Kortex kommuniziert – also genau jenem Areal, das für Impulskontrolle, Organisation und kognitive Flexibilität verantwortlich ist.
Diese direkte Verbindung wurde schon in der Übersichtsstudie von Stoodley & Schmahmann (2009) beschrieben – und bildet heute die Grundlage für viele pädagogisch-therapeutische Ansätze, die Körper und «Geist / Gehirn» nicht mehr getrennt, sondern als System denken. Unserem Nervensystem also.
Wie du deine Hände nutzt, kann zum Schlüssel für mehr Fokus und Kontrolle werden.
Was auf den ersten Blick simpel klingt, hat tiefgreifende Auswirkungen im Gehirn: Denn jedes bewusste, fein abgestimmte Handeln aktiviert das Kleinhirn – insbesondere das Cerebrocerebellum, das eng mit dem präfrontalen Kortex verbunden ist, unserer Schaltzentrale für Denken, Planen und Impulskontrolle.
Tätigkeiten wie Basteln, Musizieren, Knoten machen oder Tippen sind dabei keine bloßen Fingerübungen – sie strukturieren Gedanken, fördern Ausdauer, unterstützen beim Planen und stärken die Fähigkeit zur Selbstregulation.
Besonders bei Kindern ist diese Verbindung ein echtes Potenzial: Ihre neuronalen Netzwerke sind formbar – gezieltes Handeln mit den Händen kann ihre exekutiven Funktionen langfristig fördern.
(Aber auch Erwachsenen profitieren davon 😉)
In einer Welt voller Bildschirme sind es also oft gerade Schere, Stift und Handarbeit, die einen echten Unterschied machen können: Mehr Klarheit, mehr Fokus – dank dem Werkzeug, das wir jeden Tag dabeihaben: unseren Händen.
Synapsen-Kracher Übung um das Kleinhirn generell im Unterricht / Alltag zu boosten.
Hier sind drei schnelle, effektive Übungen, um das Kleinhirn und seine Areale auf Touren zu bringen – mit Spaß und ohne viel Vorbereitung:
Überkreuzkoordination
Lerne, angewandte Neurologie spielerisch in deinem Unterricht einzusetzen – für mehr Gesundheit und Konzentration.
Übungen zum Fördern des Cerebrocerebellum
Diese scheinbar simplen Tätigkeiten sind wahre kognitive Booster. Sie fördern Planungsfähigkeit, Ablauforientierung, Geduld und Selbstkontrolle. Beispiele für feinmotorische Arbeiten sind:
Schneiden mit der Schere
Fädeln von Perlen
Malen feiner Linien
Binden von Schuhen
Basteln mit kleinen Materialien (Papier, Stoff, Holz)
Schreiben
Ausschneiden von Formen
Knüpfen von Freundschaftsbändern
Gerade im Unterricht oder Alltag bieten feinmotorische Tätigkeiten wie das Schreiben, das Ausschneiden von Formen oder das Knüpfen von Freundschaftsbändern eine wunderbare Chance, Lernen über Bewegung zu verankern – auf ganz natürliche Weise.
Fazit: Greif zu. Falte, knote, schnippe. Deine Hände sind ein Schlüssel zur regulation deines Nervensystems.
Unsere Hände sind seit Jahrtausenden eines der wichtigsten Werkzeuge, die uns Menschen auszeichnen. Schon in der Steinzeit haben wir mit ihnen komplexe Werkzeuge gebaut, Kunst erschaffen und Kommunikation ermöglicht. Diese jahrtausendelange Verbindung zwischen Hand und Gehirn hat unser Nervensystem tief geprägt – weshalb feinmotorische Bewegungen heute noch starke Auswirkungen auf unsere Gehirnfunktionen haben.
Das bedeutet: Wenn wir unsere Hände gezielt herausfordern – mit ein paar „Synapsen-Krachern“ im
Schulalltag –, aktivieren wir dabei nicht nur den Körper, sondern stärken vor allem auch wichtige Gehirnareale, die für Konzentration, Planung und Kontrolle zuständig sind.
Es lohnt sich also, diese uralte Verbindung zu nutzen, um Kinder in ihrer Entwicklung bestmöglich zu unterstützen – mit Bewegung, Koordination und feinmotorischer Förderung als Teil eines ganzheitlichen Lernkonzepts.
Quellen:
Krienen, F. M., & Buckner, R. L. (2009). Segregated fronto-cerebellar circuits revealed by intrinsic functional connectivity. Cerebral Cortex, 19(10), 2485–2497. https://doi.org/10.1093/cercor/bhp135
Schmahmann, J. D. (2019). The cerebellum and cognition. Neuroscience Letters, 688, 62–75. https://doi.org/10.1016/j.neulet.2018.07.005
Stoodley, C. J., & Schmahmann, J. D. (2009). Functional topography in the human cerebellum: A meta-analysis of neuroimaging studies. NeuroImage, 44(2), 489–501. https://doi.org/10.1016/j.neuroimage.2008.08.039
Stoodley, C. J., Valera, E. M., & Schmahmann, J. D. (2012). Functional topography of the cerebellum for motor and cognitive tasks: An fMRI study. NeuroImage, 59(2), 1560–1570. https://doi.org/10.1016/j.neuroimage.2011.08.065
Vandervert, L. R., Schimpf, P. H., & Liu, H. (2007). How Working Memory and the Cerebellum Collaborate to Produce Creativity and Innovation. Creativity Research Journal, 19(1), 1–18. https://doi.org/10.1080/10400410709336873



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