Die Macht unserer Beziehungen – warum wir ohne einander nicht wir selbst sind
- Myrtha

- vor 15 Minuten
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Inspiriert durch eine Vorlesung von Ludwig Hasler möchte ich die Bedeutung und die Macht unserer Beziehungen beleuchten – aus einer wissenschaftlichen wie auch ganzheitlichen Perspektive. Hasler stellte die faszinierende Frage: Wer sind wir – oder besser gesagt, wer wären wir – ohne die anderen?
Wir könnten uns nicht reflektieren, wenn es niemanden gäbe, der uns spiegelt. Wir würden unser Verhalten einfach so hinnehmen, wie es gerade ist. Und mehr noch: Ohne soziale Interaktion wäre unser Leben emotional flach – keine Hochs, keine Tiefs. Unser Nervensystem wäre in einem ständigen Status quo, eine gerade Linie ohne Ausschläge.
Doch was bedeutet es wirklich, Beziehungen zu haben? Welche Prozesse werden dabei in uns ausgelöst – was macht dies mit uns?

Was die Wissenschaft sagt: unsere Beziehungen als Gesundheitsfaktor
Eine der bekanntesten Langzeitstudien der Welt – die Harvard Study of Adult Development – untersucht seit über 80 Jahren, was Menschen langfristig gesund und glücklich macht. Das Ergebnis ist eindeutig: Unsere Beziehungen, insbesondere wie zufrieden wir darin sind, haben einen enormen Einfluss auf unsere physische und mentale Gesundheit.
Materielle Dinge und Geld machen uns nur kurzfristig glücklich. Enge Beziehungen, Dankbarkeit und Freundlichkeit dagegen wirken nachhaltig.
Robert Waldinger, Psychiater und Direktor der Harvard-Studie, fasst es eindrücklich zusammen:
„Einsamkeit tötet. Sie ist so stark wie Rauchen oder Alkoholmissbrauch.“
Gute Beziehungen senken nicht nur Stress, sondern wirken auch auf körperliche Marker: Sie beeinflussen Blutdruck, Cholesterinwerte und Schmerzempfinden positiv. Menschen mit stabilen sozialen Kontakten regulieren Emotionen besser und leben in der Regel länger und gesünder.
Der amerikanische Psychiater George Vaillant identifizierte aus der Studie sechs zentrale Faktoren für gesundes Altern:
1. Physische Aktivität
2. Gesunde Gewohnheiten (Verzicht auf Suchtmittel)
3. Gute Bewältigungsstrategien für die Launen des Lebens
4. Ausgeglichenes Gewicht
5. Stabile Partnerschaften
6. Bildung als Grundlage
Freundlichkeit als Alltagsmedizin
Dr. Laurie Santos, Dozentin an der Yale University, erforscht seit Jahren unser Wohlbefinden. Wie wir wohl alle wissen, sind materialistische Bereicherungen keine Garantie für unser Wohlbefinden. Sie betont insbesondere die Rolle von Freundlichkeit und sozialer Verbundenheit. Das lässt sich leicht im Alltag umsetzen:
Den/die Arbeitskollegen/in fragen, wie sein/ihr Tag war
ein kurzes Gespräch im Bus führen
die beste Freundin anrufen
Es geht nicht um die Dauer des Kontakts, sondern um die bewusste Geste. Jedes kleine Zeichen der Verbundenheit wirkt wie eine Mikro-Dosis Glück.
Das Zusammenspiel von Körper, Emotionen und deren Verbindungen
Der Neurowissenschaftler Dr. Andrew Huberman beschreibt, wie Emotionen entstehen – und welche Rolle dabei das Hormon Oxytocin spielt. Dieses sogenannte „Vertrauenshormon“ wird bei sozialen Interaktionen ausgeschüttet. Es macht uns empfänglich für die Emotionen anderer, fördert Empathie, senkt den Cortisolspiegel (Stresshormon) und stärkt so unsere Bindungen.
Für die Emotionsregulation spielt der Vagusnerv (Hirnnerv 10) eine weitere entscheidende Rolle. Der Vagusnerv verbindet das Gehirn mit unserem Körper. Wenn der Vagusnerv stimuliert wird, werden wir nicht automatisch ruhiger und entspannter, wie fälschlicherweise gerne angenommen wird, sondern wachsam, präsent und in der Lage, unser Gegenüber wahrzunehmen
Ludwig Hasler bezeichnet uns Menschen alle als Egoisten. Umso wichtiger, dass wir diesen Egoismus als reziproken Egoismus sehen.
Oder, in Haslers Worten:
„Aus der Ich-Besoffenheit ausbrechen und beginnen, uns für die anderen zu interessieren!“
Unser Nervensystem reagiert auf jeden Stimulus, den wir aufnehmen, sei dies bewusst oder unbewusst. Unser Mindset, unsere Einstellung gegenüber uns selbst aber auch gegenüber anderen beeinflusst unser Handeln massiv. Brechen wir also aus unserer egozentrischen Welt aus, interessieren uns für unser Gegenüber, stecken uns gegenseitig mit Leben an und lassen die Sonne aufgehen, wenn wir in den Raum eintreten. Leben wir im Moment und tragen unsere Nettigkeit und Freundlichkeit neugierig in die Welt hinaus – jede Person in der Art und Weise, die für sie stimmig ist.
Drei kleine Übungen für den Alltag
1. Im Moment sein: Schliesse deine Augen. Spüre, welche Körperstellen Kontakt mit dem Boden oder einem Möbelstück haben. Wie fühlt sich das an? Wandere dann mit deiner Aufmerksamkeit in die Umgebung: Welche Geräusche hörst du? Welche Gerüche nimmst du wahr? Wechsle für 3–5 Minuten zwischen Innen- und Aussenwahrnehmung.
2. Soziale Interaktion: Nimm dir täglich fünf Minuten, um dich bewusst mit jemandem auszutauschen – sei es eine gute Freundin oder ein Fremder. Zeige echtes Interesse.
3. Akt der Freundlichkeit: Mache jeden Tag mindestens einer Person ein aufrichtiges Kompliment. Achte darauf, wie du dich danach fühlst – vielleicht möchtest du es sogar notieren, um daraus eine neue Routine zu machen.
Fazit
Wir sind soziale Wesen – nicht trotz, sondern wegen unserer Abhängigkeit voneinander. Beziehungen sind kein „Nice-to-have“, sondern die Basis für Gesundheit, Lebensfreude und Sinnhaftigkeit.
Wenn wir dich unterstützen können und du unsere Hilfe gebrauchen kannst, darfst du dich gerne bei uns melden.
Quellen:
Vorlesung Ludwig Hasler am Schärme Symposium 23.10.2025.
Laurie Santos, The Science of Well-Being (Coursera).
Andrew Huberman, Huberman Lab Podcast – The Science of Emotions & Relationships.
Harvard Gazette: „Over nearly 80 years, Harvard study has been showing how to live a healthy and happy life“.
Grant & Glueck. Harvard Study of Adult Development.


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